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Interkulturelle Bildung und Mehrsprachigkeit im Lateinunterricht – Reflexionsräume schaffen in Studienprojekten zu aktuellen fachdidaktischen Forschungsfragen

Promotion (Didaktik Latein)

Leoni Janssen

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Quintus Ennius tria corda habere sese dicebat, quod loqui Graece et Osce et Latine sciret. (Gell. 17.17.1) – „Quintus Ennius sagte immer, dass er drei Herzen habe, weil er Griechisch und Oskisch und Lateinisch sprechen könne.“

Nicht nur für den frührömischen Dichter Ennius bestand eine enge Verbindung zwischen Mehrsprachigkeit und lateinischer Literatur. Schon immer existierte das Lateinische neben anderen Sprachen, sowohl in Rom als auch in den Provinzen, und durchlief selbst eine Metamorphose vom Status einer Muttersprache zur Zweitsprache zur Fremdsprache. In Verbindung mit verschiedenen Sprachen stehen ihre Kulturen, die die Sprachen prägen und umgekehrt auch von Sprache geprägt werden. So können Rom und das römische Reich auch als ein Melting Pot gelten, in dem die römische Kultur und die Kulturen der vom römischen Reich unterworfenen Völker aufeinandertrafen und neu ausgehandelt wurden. Die Kultur der Antike, die uns heute als ein relativ homogenes griechisch-römisches Phänomen begegnet, entstand unter den Einflüssen zahlreicher, heute meist untergegangener Kulturen.

Mehrsprachigkeit und das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen ist in heutigen Schulen aufgrund von Migration genauso aktuell wie zu Zeiten Ennius‘: Der Beschluss „Interkulturelle Bildung und Erziehung in der Schule“ der ständigen Konferenz der Kultusminister aller Länder (in seiner Fassung vom 5.12.2013) bezeichnet Sprachförderung unter Nutzung und Wertschätzung der Muttersprachen und der Herkunftskulturen als Kernaufgabe aller Fächer. Entsprechend ist mehr und mehr in den Fokus der Fachdidaktik gerückt, dass gerade das Fach Latein durch seine spezifisch reflexive Ausrichtung ein hohes Potenzial für einen interkulturellen und auf Mehrsprachigkeit ausgerichteten Fachunterricht hat. Da auch im Raum Wuppertal der Anteil an Lateinschülerinnen und -schülern mit nichtdeutscher Herkunftssprache und -kultur zunimmt und Studierende sich gerade im Umgang mit kultureller Heterogenität Anleitung wünschen, wird ihnen im Rahmen dieses Dissertationsprojekts die Möglichkeit gegeben, ihr Studienprojekt an die aktuelle Fachdidaktische Forschung zum Einsatz von Herkunftssprachen im lateinischen Sprachunterricht und zur Modellierung eines interkulturellen Lateinunterrichts anzuschließen. Durch das Forschen im Team soll Raum eröffnet werden für eine Reflexion, die die Studierenden durch die Anbindung an den eigenen Unterricht aber auch an den aktuellen Forschungsdiskurs als sinnhaft und für ihre berufliche Weiterentwicklung im Kontext von Heterogenität relevant empfinden.

Zum fachdidaktischen Forschungsprojekt „Herkunftssprachen im Lateinunterricht“

Das Projekt sieht vor, ausgehend vom am Institut für die Didaktik alter Sprachen der HU Berlin entwickelte Konzept eines sprachsensiblen Lateinunterrichts (pons Latinus) für Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache, einen interkulturellen Ansatz für den Lateinunterricht zu entwickeln, der sowohl die besonderen Potenziale von Lateinschülern nichtdeutscher Herkunftssprache und -kultur miteinbezieht, als auch auf der Basis der Kultur der Antike zur Verständigung und Aushandlung einer gemeinsamen kulturellen Identität aller Schüler beiträgt. Zum einen gilt es, das besondere Sprachwissen der herkunftsbedingt mehrsprachigen Schüler – die Erstsprache, die Zweitsprache Deutsch und dann auch das Lateinische – für eine ausgeprägte Sprachreflexion, die Ausbildung von language awareness und die Vermittlung sprachlicher Allgemeinbildung in den Lateinunterricht einzubinden. Darüber eröffnet sich die Möglichkeit, über die Ähnlichkeiten mit der Bildungssprache Latein auch den weniger prestigeträchtigen Herkunftssprachen Raum und Anerkennung im Unterricht zukommen zu lassen. Die Schülerinnen und Schüler erhalten Einblicke in verschiedene Sprachsysteme und lernen über die Sprachgrenzen hinweg sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten kennen und erlangen ein tieferes Verständnis in Funktionsweisen von Sprache an sich.

Zum anderen können am Modell der antiken Kultur als dem „nächsten Fremden“ kulturelle Aushandlungsprozesse unter den Schülern angeregt und reflexive Multiperspektivität gefördert werden. An Beispielen aus der antiken Kultur, die allen Schülern gleich fremd bzw. gleich nah ist, können exemplarisch Zugänge zu fremden Kulturen eingeübt und reflektiert werden. Die Betrachtung der Antike als Synthese verschiedener kultureller Einflüsse eröffnet den Schülern einen Blick auf die Dynamik und Prozesshaftigkeit auch heutiger Kulturen.

Zur Implementierung in den Unterricht werden entsprechend der oben genannten Zielsetzungen zusammen mit den Studierenden im Praxissemester Unterrichtsmaterialien für die Förderung von Mehrsprachigkeit und interkultureller Kompetenz im Lateinunterricht entwickelt und in Form einer Pilotstudie in ihrem Unterricht erprobt.

Zum Betreuungsformat des Studienprojekts

Das Studienprojekt liegt in der Verantwortung der Universitäten und ist ein wichtiges Element des Praxissemesters. Unter universitärer Anleitung soll das Studienprojekt zur Ausbildung von Reflexionskompetenz, zu einem „forschenden Habitus“ und zu einer Vernetzung von Theorie und Praxis beitragen. Trotz seiner Bedeutung für das Praxissemester gibt es an den Universitäten bisher kein einheitliches Betreuungskonzept und das Studienprojekt wird von vielen Studierenden als große Belastung ohne erkennbaren Sinn für die eigene Ausbildung wahrgenommen.

Im Fach Latein wird interessierten Studierenden die Möglichkeit gegeben, ihr Studienprojekt an ein aktuelles fachdidaktisches Forschungsthema anzubinden und im Team mit einem Doktoranden der Fachdidaktik daran zu arbeiten. Dies wird zunächst mit dem oben skizzierten Projekt zur Mehrsprachigkeit und zur Interkulturalität im Lateinunterricht implementiert. Dabei entstehen in enger Theorie-Praxis-Abstimmung erprobte Materialien, die von den Studierenden zusammen mit der Fachdidaktikdozentin und den anleitenden Lehrern in einer Reflexionsphase ausgewertet werden. Das Studienprojekt der Studierenden wird so automatisch Teil eines aktuellen fachdidaktischen Diskurses. Bei der Evaluation des Betreuungsformats wird danach gefragt, wie den Praxissemesterstudierenden ein geeigneter Reflexionsraum im Praxissemester zur Verfügung gestellt werden kann, wie die Relevanz von Fachdidaktik in der studentischen Wahrnehmung erhöht werden kann und welche Elemente der universitären Betreuung eine Ausbildung von Reflexionskompetenz und das Erleben von Sinnhaftigkeit des fachdidaktischen Studienprojekts unterstützen könnten.

Literatur

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Lösch, Klaus: Begriff und Phänomen der Transdifferenz: Zur Infragestellung binärer Differenzkonstrukte, in: Lars Allolio-Näcke / Britta Kalscheuer / Arne Manzeschke (Hrsg.), Differenzen anders denken, Frankfurt am Main 2005, 26–49.

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